Grundlage unseres Steuersystems ist die Einteilung in direkte und indirekte Steuern. Diese Einteilung wurde bei der Einführung unseres Steuersystems übernommen und nie in Frage gestellt.
Doch was genau verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Dazu muss man weitere Begriffe kennen: Steuerschuldner, Steuerzahler, Überwälzen und Steuerträger.
Steuerschuldner ist derjenige, der die Steuer aufgrund eines Steuertatbestandes nach der Abgabenordnung schuldet.
Der Steuerzahler ist derjenige, der die Steuerschuld an das Finanzamt abführt; dies muss nicht der Steuerschuldner selbst sein, sondern z.B. ein Unternehmen.
Überwälzen bedeutet, dass der Steuerzahler die von ihm gezahlte Steuer von anderen vereinnahmen kann. Dieser Vorgang muss nicht offengelegt werden.
Der Steuerträger ist letzendlich derjenige, der die Steuerschuld des Steuerschulners letztendlich zahlt.
Damit lässt sich die Frage beantworten, was unter einer direkten Steuer und was unter einer indirekten Steuer zu verstehen ist:
Eine indirekte Steuer ist die solche, die ein Steuerzahler, zum Beispiel ein Unternehmen, an den Fiskus abführt. Tatsächlich zahlt sie in diesem Fall der Konsument, wenn er das Produkt kauft, denn sie ist, wie alle Ausgaben eines Unternehmens, im Preis enthalten. Der Konsument ist also in diesem Fall der Steuerträger.
Eine direkte Steuer kann weder vom Steuerschuldner noch vom Steuerzahler überwälzt werden. Er kann sie nicht anderen zur Last legen. Er ist somit Steuerträger.
Dazu ein Zitat aus "Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaftslehre"
14. Auflage 1995, Seite 393
"Eine sehr alte, aber immer noch häufig verwendete Gliederung der Steuern ist die in direkte und indirekte Steuern. Dabei wird meistens darauf abgestellt ob die Steuer überwälzbar ist, ob also derjenige, der die Steuer an das Finanzamt abführt, mit demjenigen identisch ist, der die wirtschaftliche Last der Steuer trägt. Steuern, bei denen von einer Überwälzbarkeit ausgegangen wird, heißen dann indirekte Steuern; Steuern die nicht überwälzbar erscheinen, heißen direkte Steuern. Typisches Beispiel für die direkte Steuer ist die Einkommensteuer, während die Mehrwertsteuer als Prototyp der indirekten Steuer gelten kann."
Hier stellt sich die Frage: Ist die Behauptung, die Einkommensteuer sei eine direkte und die Mehrwertsteuer eine indirekte Steuer, wirklich richtig und kann sie als typisches Beispiel gelten?
Dazu müssen wir drei wissenschaftliche Bereiche anschauen:
Die betriebswirtschaftliche Steuerlehre, die Finanzwissenschaft als volkswirtschaftliche Disziplin und die Steuerrechtswissenschaft, die in der juristischen Fakultät angesiedelt ist. Jede dieser Disziplinen beschäftigt sich mit dem Steuersystem. Die folgenden Zitate machen deutlich, dass die oben beschriebenen Grundlagen unseres Steuersystems in allen drei Bereichen unhinterfragt vorausgesetzt werden.
Dazu drei Zitate aus dem Funkkolleg „Steuern - das Geld der Gesellschaft, aus dem Einführungsbrief" 1995, S. 11f:
Die betriebswirtschaftliche Steuerlehre:
"Die betriebswirtschaftliche Steuerlehre widmet sich zunächst einmal dem Einfluß der Besteuerung auf die unternehmerischen Produktions- und Investitionsentscheidungen. Dabei werden die bestehenden Rechtsnormen und Steuergesetze weitgehend als gegeben angenommen. Sie fragt aber auch wie sich für vorgegebene Produktions- und Investitionsprogramme die unternehmensbezogenen Steuerlasten legal minimieren lassen. Unter diesem Aspekt ist die betriebswirtschaftliche Steuerwissenschaft eine einzelwissenschaftliche Steuervermeidungslehre. Ein wichtiger Aufgabenbereich der steuerberatenden Berufe besteht dementsprechend auch darin, die Steuerpflichtigen für die Möglichkeiten von Steuerersparnissen zu informieren."
Hier ist keine Reflexion der Grundlagen zu finden.
Die finanzwissenschaftliche Steuerlehre:
"Zwar beschäftigt sich auch die finanzwissenschaftliche Steuerlehre mit den einzelwirtschaftlichen Wirkungen in der Besteuerung, im Vordergrund stehen allerdings gesamtwirtschaftliche Überlegungen. Gefragt wird einmal nach den Steuerwirkungen auf die Beschäftigungshöhe, das Preisniveau, das Wachstum oder andere gesamtwirtschaftliche Variablen. Die Finanzwissenschaft macht sich darüber hinaus aber auch Gedanken über die normative Ausgestaltung rationaler Steuersysteme. Einige typische Fragen lauten: Sollte der Besteuerung ein größeres Gewicht beigemessen werden? Nach welchen Kriterien und in welche Richtung sollte die seit langem geforderte Reform der Gemeinde Steuern (vor allen Grund - und Gewerbesteuer) erfolgen? Ist eine umweltorientierte Umgestaltung unseres Steuersystems empfehlenswert?"
Die gestellten Fragen bewegen sich mehr in Teilbereichen, eine Reflexion über die Grundlagen ist nicht zu finden.
Die Steuerrechtwissenschaft:
Die Steuerrechtswissenschaft schließlich befasst sich mit der rechtlichen Ordnung der Besteuerung. Sie entwickelt und interpretiert verfassungsrechtliche Steuernormen, bemüht sich um die Konkretisierung und die gesetzliche Fixierung einer am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichteten gerechten Besteuerung und setzt Steuerreformvorschläge in konkrete Gesetzesentwürfe um.
Reflexion zu den Grundlagen? Ebenfalls Fehlanzeige!
Diese Zitate machen deutlich: All das, was historisch gewachsen ist und mit der "Erzbergerschen Steuerreform" 1920 in ein System gegossen wurde, bildet ein unhinterfragtes Fundament.
Ist dieses Fundament und die damit verbundene alte Struktur überhaupt tragfähig?
Da es bei allen Betrachtungen auf diesen Seiten um die tatsächliche Wirkung von Steuern geht, stehen betriebswirtschaftliche Prozesse und Fragestellungen im Mittelpunkt. Nicht als Steuervermeidungslehre, sondern als Steuer-Sinnfrage!
Denn für die Unternehmen zählt:
Die reale Produktion bildet das wirtschaftliche und finanzielle Geschehen ab. Das Überleben eines Unternehmens hängt davon ab, ob es alle seine Ausgaben über die Preise seiner Produkte wieder einspielen kann. Die obigen Überlegungen werden dem nicht gerecht. Das Steuersystem ist nur ein flankierendes Instrument unseres notwendigen gesellschaftlichen Ordnungsrahmens.
Wie stehen die Begriffe zu den realwirtschaftlichen Vorgängen?
Zunächst das Überwälzen der Steuern.
Hier wird gefragt: Kann die Steuer, die einem Unternehmen oder einer Person als Steuertatbestand auferlegt wird, an andere weitergegeben werden, so dass diese sie bezahlen?
Diese Frage ist völlig abstrakt.
Im Unternehmen stellt sich eine ganz andere Frage: Kann ein Produkt mit dem entsprechenden Preis verkauft werden? Der Preis ergibt sich aus allen Ausgaben des Unternehmens, zu denen auch alle Steuern gehören. Hier stellt sich gar nicht die Frage des „Überwälzens“, sondern nur die Frage: Kann ein Produkt verkauft werden oder wäre der Preis zu hoch? Im letzteren Fall würde das Produkt gar nicht produziert werden, oder die Produktion würde in Billiglohnländer verlagert.
Am Beispiel vom Unternehmen und Kunden soll dies verdeutlicht werden.
Das Unternehmen produziert für den Kunden Produkte. Während der Produktion fallen für das Unternehmen schon Steuern an, z.B. die Energiesteuern, Gewerbesteuern, Kfz-Steuern usw. Diese muß das Unternehmen an das Finanzamt abführen. Dem Finanzamt gegenüber gehört der Unternehmer in die Schublade: Steuerschuldner. Das Unternehmen kalkuliert diese Steuer in die Preise ein und bekommt das Geld über den Verkaufspreis vom Konsumenten wieder. Dadurch wird der Kunde zum Steuerträger.
Ist die Einordnung der Einkommensteuer berechtigt?
Anders wird dies für die Einkommensteuer gesehen, deren Sonderfall die Lohnsteuer ist. Das Unternehmen führt die festgelegte Lohnsteuer zwar an das Finanzamt ab. Dennoch wird der Lohnempfänger als Steuerzahler, Steuerträger und Steuerschuldner verstanden, denn dieser ist es, der die Lohnsteuer dem Finanzamt gegenüber schuldet und vermeintlich zahlt.
Diese im Steuerrecht festgelegten Schubladen verschleiern folgenden Aspekt: Alle Steuern und Abgaben, die im Zusammenhang mit der Produktion an das Finanzamt überwiesen werden, auch die Lohn- und Einkommensteuern, landen im Preis!
Damit wird auch hier deutlich, dass die Einkommensteuer keine direkte, sondern ebenfalls eine indirekte Steuer ist.
Wie kam es zu dem Gedanken, dass die Einkommensteuer eine direkte Steuer sei?
Dies ist im Kapitel Historischer Irrtum beschrieben.
Wie steht es um die Einordnung der Mehrwertsteuer?
Für die Mehrwertsteuer wird die Beurteilung etwas komplizierter.
Wie kommt die Steuerlehre darauf, dass die Mehrwertsteuer eine indirekte Steuer sei?
Das liegt daran, dass jedes Unternehmen die Mehrwertsteuer einnimmt und an das Finanzamt überweisen muss. Daraus kann man schließen, die Mehrwertsteuer würde über die Preise auf den Kunden übergewälzt. Daher wird diese Steuer in die Schublade der indirekten Steuern gesteckt.
Tatsächlich ist der Ablauf ein anderer:
Die Mehrwertsteuer wird bei jedem Verkauf fällig. Aufgrund des 1968 eingeführten Vorsteuerabzugsverfahrens wird einem erwerbenden Unternehmen die gezahlte Mehrwertsteuer vollständig erstattet. Erst wenn das Produkt an einen Konsumenten verkauft wird, verbleibt die Steuer beim Finanzamt. Als Bemessungsgrundlage der Steuer dient der Nettopreis des Produktes.
Gezahlt wird dieser Betrag vom Konsument. Das Unternehmen ist als Zahlungsempfänger nur Treuhänder dieses Betrages und überweist ihn an das Finanzamt.
Signum der indirekten Steuer ist, dass die Steuern während der Herstellung eines Produktes durch einen Steuertatbestand anfallen und dann an den Kunden „überwälzt" werden. Die Mehrwertsteuer fällt während der Herstellung aufgrund des Vorsteuerabzuges gar nicht an, es wird somit nichts „überwälzt“.
Die Mehrwertsteuer ist also im Sinne der obigen Definition weder eine direkte noch eine indirekte Steuer.
Die begriffliche Einordnung ist auf das wirkliche Geschehen nicht anwendbar.
Diese Ausführungen waren notwendig um aufzuzeigen, dass die Begriffe „direkte“ und „indirekte“ Steuer unreflektiert übernommen und verwendet werden. Die Wirklichkeit der finanziellen Abläufe und deren Tragweite können sie nicht erfassen.
Damit wird wiederum deutlich, dass wir bei der Suche nach einem sinnvollen Steuersystem andere Wege einschlagen müssen. Die Antwort auf die Frage nach den finanziellen Belastungen und deren Auswirkungen für das gesamtwirtschaftliche Geschehen muß anders als bisher ermittelt werden. Die Problemlagen, die auf der Startseite skizziert sind und die beschriebenen Schäden müssen berücksichtigt werden. Dies erfordert eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung.
Diese biete ich in der Beschreibung eines zukünftigen Steuersystems an.